Nach zwei Monaten in Laos fuhr ich über die Grenze nach Vietnam und es war eine Veränderung ab dem ersten Augenblick. Eine Veränderung, die gut tat. Nach Laos dörflichem Leben war Vietnam geschäftig und laut. Schon Plei Can, die erste Stadt eine Radstunde hinter der Grenze, wirkte größer als Vientiane in Laos. In zwei Wochen würde ich Saigon erreichen und dort das Rad abstellen, um das Land mit meinen Eltern drei Wochen per Bus, Bahn und Taxi zu bereisen.
Ich war vorgewarnt worden, das Zelten würde wegen der hohen Besiedlungsdichte in Vietnam nicht einfach werden. Die Straßen sind tatsächlich fast immer von einer endlosen Häuserreihe gesäumt, die sich von Zeit zu Zeit zu Städten oder Dörfern aufbläht. Da ein Zimmer nur 4–5 Euro pro Nacht kostete und es auf Dauer keinen Spaß macht, von jedem, der das Zelt entdeckt, beobachtet und ausgefragt zu werden, stieg die Zahl der Übernachtungen in Unterkünften beträchtlich. Einen sehr schönen Abend verbrachte ich mit einem Kaffeebauern und seinen Freunden, der mich neben seinem Feld schlafen ließ. Sie machten ein Lagerfeuer, wir unterhielten uns per Google Translator und schauten Tom und Jerry auf dem Smartphone. In den folgenden Bildern ist er der Typ mit dem Motoroller.
Nach einer Woche und ca. vierhundert Kilometer vor Saigon fand die Radelei ein abruptes Ende. Meine Mäntel waren nach viertausend Kilometern derart verschlissen, dass ich drei Platten am Tag hatte. Schließlich, bei 40 km/h bergab auf dem Standstreifen eines Highways, plättete sich ein letztes Mal der Vorderreifen und ich stürzte. Dabei hatte ich riesiges Glück, es waren keine der sonst allgegenwärtigen Busse oder LKW hinter mir, nur Motoroller. Alle hielten sofort und boten mir Hilfe, Getränke, Essen, und sogar Geld an. Aber auch mein letzter Flicken brachte das Rad nicht wieder zum Rollen. Hong Thuy Nguyen, eine Frau aus dem nächsten Ort, hatte mich in ihr Haus eingeladen. Sie und ihr Mann (die Beiden auf dem letzten Foto) halfen mir, dort am Straßenrand einen Bus zu erwischen. So rollte ich in der Abenddämmerung gen Saigon. Der Bus hatte aber unterwegs auch noch einen Platten, wie passend…
Die Ankunft in der gigantischen Metropole Saigon war ein weiterer, wohltuender Kulturschock. In Saigon leben ca. sieben Millionen Menschen. Ich hatte mit Ausnahme Bangkoks seit Beginn der Reise noch nichts Vergleichbares gesehen. Um Geld zu sparen, wollte ich die paar Kilometer zum Hostel schieben. In der Rezeption stellte sich dann heraus, dass es zwei mit demselben Namen gibt. Ich war beim Falschen… Am Ende habe ich das Rad mit Platten zwölf Kilometer bis 1 Uhr früh durch die Stadt gezerrt. Bei meiner Ankunft war ich schweißnass, aber auch sehr glücklich. Ich bekam eine Übernachtung und eine Flasche Wasser gratis und mein Rad durfte ich im Keller für drei Wochen stehen lassen.
Sehr spannend ist die Verkabelung der Stadt. Ich kann mir nicht vorstellen, dass irgendjemand den Überblick darüber hat. Jedes Gerät scheint einen eigenen dünnen Draht zu haben, der sich Stück für Stück mit anderen zu immer dickeren Bündeln sammelt bis sie irgendwo in der Erde verschwinden. Den Versorgungsweg einer Glühbirne konnte ich zwei Kilometer verfolgen bis der Strang in der Erde verschwand.
Fotografieren in der Dunkelheit ist eine sehr dankbare Sache, da das Licht oftmals spärlich, dafür aber auch abwechslungsreicher ist. Auch der Hitze wegen war ich oft viele Stunden im Dunkeln unterwegs.
Nach einer Woche war es an der Zeit, Saigon in Richtung Hanoi zu verlassen. Die wiederholte Ansage „Lass es, das ist sehr unbequem“ machte es erst recht reizvoll, 1600 km Fahrt ohne Umsteigen im Liegebus zu versuchen. Die Fahrt sollte gerade mal 25 Euro kosten und 48 Stunden dauern. Also schloss ich das Rad im Hostelkeller an ein Wasserrohr an und bestieg gegen 13 Uhr den schummerigen Bus. Neben mir gab es nur die zwei Busfahrer und fünf weitere Passagiere. Das soll nicht heißen, dass der Rest des Gefährts ungenutzt blieb. Schon nach zwanzig Minuten hielten wir auf einem Hinterhof und sämtlicher Platz wurde mit Maiskolben und Kisten beladen. Dann rollten wir aus der Stadt hinaus und ich versuchte möglichst schnell in einem zeitlosen Dämmerzustand zu versinken. Dankenswerter Weise (im Gegensatz zu früheren Überlandfahrten in Aserbaidschan oder Rumänien) lief keine Musik. Im Fahrpreis waren noch drei Mahlzeiten pro Tag inbegriffen. An der Raststätte angekommen, wurde zuerst ein Korb mit Badelatschen vor die Bustür gestellt (absolutes Schuhverbot im Bus). Man fischte den Latsch mit dem Fuß auf, dann ging es zügig in einen Speisesaal, der die Passagiere von 2–8 Bussen auf einmal fasste und aus einer riesigen Küche bekam jeder zackzack sein Essen. Nach fünfzehn Minuten gings direkt weiter. Während der Fahrt hatte ich zunehmend das Gefühl, dass wir zu schnell sind. Würden wir wirklich achtundvierzig Stunden nach Hanoi brauchen?